Als es vorbei ist, wollen sie weiterspielen. Sie wollen nicht aufhören, sie wollen Spaß haben, sie wollen Tore schießen, sie wollen kicken. Trotz eisigen Windes, trotz Nieselregens. Für zwölf Häftlinge der JVA Wuppertal-Ronsdorf ist eine Fußballeinheit in dieser Woche eine ganz besondere. Eine Delegation von Bayer 04 Leverkusen, angeführt von Meinolf Sprink, Direktor für Soziales und Fans, ist vor Ort. Auch Jens Nowotny, Botschafter der DFB-Stiftung Sepp Herberger, ist gekommen. Der hohe Besuch findet im Rahmen der Initiative „Anstoß für ein neues Leben“ der Sepp-Herberger-Stiftung statt und hat einen ganz besonderen Grund: Bayer 04 Leverkusen hat die Patenschaft über die Anstoß-Gruppe in der JVA übernommen.

Gemeinsame-Trainingseinheit Gemeinsame Trainingseinheit von Bayer 04 Leverkusen und den Häftlingen

„Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir helfen, wo wir helfen können. Ich persönlich bin heute zum ersten Mal in einem Gefängnis. Es ist ein sehr bedrückender Ort“, sagt Sprink. „Aber ich sehe, dass die Häftlinge offenbar ihre Sorgen für einige Zeit vergessen können, wenn sie Fußball spielen.“ Das Anstoß-Team nimmt eine besondere Rolle in der JVA Wuppertal-Ronsdorf ein. Derzeit befinden sich etwa 360 männliche Gefangene im Alter von bis zu 24 Jahren in der Haftanstalt. Maximal 15 Häftlinge leben auf der „Sepp-Herberger-Abteilung“, einer Art Wohngemeinschaft. Dort können sie zum Beispiel gemeinsam kochen, sie haben einen Tischkicker oder können auch schon mal Fußball schauen. Sie sollen auch mit solchen Dingen auf den Schritt in die Freiheit vorbereitet werden. Die Mitglieder des Anstoß-Teams haben besonders gute Resozialisierungsprognosen. Die Teilnehmer werden nach einheitlichen Kriterien wie zum Beispiel gute Haftführung oder Bildungsbereitschaft ausgesucht und bereiten sich gemeinsam auf die Zeit nach ihrer Inhaftierung vor. Neben dem Fußball und den Angeboten der DFB-Landesverbände werden die Häftlinge im Rahmen der Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit mit unterschiedlichen Angeboten auf das zukünftige Berufsleben vorbereitet. Und auch soziale und kommunikative Aspekte stehen im Fokus der Initiative.

Gespräch_mit_Sprink Meinolf Sprink im Gespräch mit dem Anstoß-Team

Stärkung des Gemeinschaftsgefühls

Pierre, 21 Jahre alt, lebt seit einem Jahr auf der „Sepp-Herberger-Abteilung“. Wegen eines schweren Raubüberfalls muss er etwas länger als drei Jahre einsitzen. Zwei Jahre hat er schon überstanden. „Es ist im Vergleich zur normalen Inhaftierung viel besser, Teil der Anstoß-Gruppe zu sein“, sagt Pierre. „Ich spiele bis zu fünfmal in der Woche Fußball. Ich liebe diesen Sport, weil er das Gemeinschaftsgefühl stärkt und weil die Zeit dann schneller vergeht.“ Pierre kommt aus Köln. Er hat in seiner Jugend lange für Fortuna Köln gespielt. Pierre galt als hoffnungsvolles Talent. Einige seiner früheren Mitspieler haben den Sprung in den Profifußball geschafft. Er hat irgendwann einige schwerwiegende Fehler gemacht und ist in die Kriminalität abgerutscht. Aber er sagt, dass er die richtigen Lehren aus seinem Verhalten gezogen hat: „Ich weiß ganz genau, was ich falsch gemacht habe. Wir haben das hier gut reflektiert. Wenn ich wieder rauskomme, möchte ich nur noch nach vorne schauen und auch wieder Fußball spielen. Aber auf ordentlichem Niveau, nicht in der Kreisliga.“ Ziele sind wichtig auf dem Weg zurück in ein geregeltes Leben.

Dass das klappt, ist nicht ausgeschlossen. Aber es ist auch kein Selbstläufer. „Die Rückfallquote derjenigen, die an der Anstoß-Initiative teilgenommen haben, ist recht gering. Wir investieren sehr viel Zeit und Mühe in die Menschen hier“, meint Christian Wolters, einer der Trainer. „Oft bekommen wir sehr positives Feedback, nachdem wir unsere Jungs entlassen haben“, sagt Wolters stolz. Es geht darum, die Inhaftierten nach der Entlassung möglichst übergangslos in die Gesellschaft zu integrieren. Und wie sollte das besser funktionieren als über den Sport? Als über die Gemeinschaft innerhalb eines Vereins? Das betont auch Jürgen Kreyer, Vizepräsident des Fußball-Verbands Niederrhein (FVN): „Wir versuchen frühzeitig auf die Häftlinge zuzugehen, um ihnen unterschiedliche Teilhabemöglichkeiten am organisierten Fußball aufzuzeigen. Wir wollen ihnen das Gefühl geben, dass sie in unserer Fußballfamilie willkommen sind.“ Ein Paradebeispiel sei in diesem Fall der Nachbarverein TSV Ronsdorf, der immer wieder ehemalige Inhaftierte aufnimmt – oft als Spieler, manchmal aber auch als Trainer oder ehrenamtliche Mitarbeiter.

Nowotny Jens Nowotny gibt den jungen Gefangenen Ratschläge mit auf den Weg

Nowotny: „Ohne Eigeninitiative funktioniert es nicht!“

Sepp Herberger hat schon früh erkannt, dass der Fußball vieles in die richtige Richtung bewegen kann. Nicht ohne Grund ist das Engagement im Strafvollzug die älteste Säule der Stiftungsarbeit. Der Weltmeister-Trainer von 1954 besuchte 1970 die JVA in Bruchsal in Baden-Württemberg und machte sich das Wirken in Haftanstalten zur Lebensaufgabe. Noch heute sind die Besuche der Stiftungsbotschafter in den Strafanstalten gefragt. Zahlreiche prominente Fußball-Persönlichkeiten unterstützen die Stiftungsarbeit. Zu diesen zählt auch Jens Nowotny. Der frühere deutsche Nationalspieler ist einer der Botschafter der Sepp-Herberger-Stiftung. Für Nowotny ist es eine Selbstverständlichkeit, dass er beim Besuch der Bayer-Delegation mit dabei ist und die Trainingseinheit interessiert beobachtet. Ebenfalls dabei sind drei A-Junioren und eine Spielerin aus der Leverkusener Bundesliga-Mannschaft, die sich später sehr interessiert mit den Häftlingen austauschen und ihnen auch den einen oder anderen Ratschlag mit auf den Weg geben. „Die Resozialisierung kann nur erfolgreich sein, wenn die Jungs das auch wirklich wollen“, sagt Nowotny. „Ohne eine ordentliche Portion Eigeninitiative wird es nicht funktionieren. Ich glaube, dass die integrative Kraft des Fußballs viel bewirken kann, aber es ist kein Selbstläufer. Der Fußball hilft dabei, Regeln und Grenzen zu akzeptieren. Außerdem ist im Mannschaftssport ein gewisses Maß an Zuverlässigkeit unglaublich wichtig.“

Zum Abschluss eines tollen Tages haben die Häftlinge noch die Möglichkeit, alle ihre Fragen los zu werden. Und davon gibt es einige. Die Antworten darauf sind letztlich noch wertvoller als eine verlängerte Trainingseinheit auf dem Platz. Denn diese kann an diesem Tag nicht mehr stattfinden.